zurück zur News Übersicht
Bundesministerium für Bildung und Forschung

Projekt SLInBio im Interview – Städtische Lebensstile erforschen, um Insektenvielfalt zu stärken

Marion Mehring vom ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung erforscht mit ihrem Team und zahlreichen Praxispartnern in Frankfurt im Projekt SLInBio, wie sich Menschen für Insektenschutz gewinnen lassen. Das ist bei diesen oft auch als lästig, eklig oder gar gefährlich empfundenen Tierarten und im städtischen Umfeld eine besondere Herausforderung, der das Team einfallsreich begegnet. Ziel ist nicht nur das Wissen zu erweitern, sondern Erfolgsfaktoren zu identifizieren, die Menschen zum Handeln bewegen. In diesem Sinn will SLInBio Erkenntnisse weit über Frankfurt und den Insektenschutz hinaus liefern.

In der Fördermaßnahme BiodiWert forschen Forschungsverbünde zu den Ursachen des ungebremsten Verlustes von Biodiversität und entwickeln innovative Ansätze zur Erhaltung. Im Fokus steht dabei die Wertschätzung von Biodiversität und Ökosystemleistungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Insgesamt 17 Projekte starteten im Dezember 2021 in die zweite Förderphase. "SLInBio" ist eins davon. Das Projektteam untersucht Möglichkeiten für Insektenschutz in der Stadt und richtet den Fokus auf Lebensstile.

INTERVIEW

Das Projekt heißt „SLInBio". Wofür steht das Akronym?

Marion Mehring: In der Projektforschung ist es üblich, die oft recht langen Namen der Forschungsprojekte mit Abkürzungen für den Arbeitsalltag tauglicher zu machen. Die Abkürzung SLInBio steht für „Städtische Lebensstile und die Inwertsetzung von Biodiversität". Der Name macht damit auf zwei zentrale Aspekte des Forschungsprojekts aufmerksam: Zum einen, dass es Biodiversität auch in der Stadt gibt, und nicht nur gewissermaßen „draußen in der Natur". Zum anderen, dass der Erhalt der Artenvielfalt ganz wesentlich vom Wert abhängt, den die Gesellschaft diesem Erhalt beimisst.

Das Projekt soll dazu beitragen, Biodiversität besser zu schützen. Wie soll das passieren und wie kamen Sie auf die Idee?

Marion Mehring: Insekten machen fast die Hälfte der zwei Millionen bekannten Arten aus, doch ihre Vielfalt ist massiv bedroht. Das Insektensterben in den Naturschutzgebieten in Deutschland hat uns gezeigt, dass wir neu über den Schutz von Biodiversität nachdenken müssen. Was viele nicht wissen: Städte können auch ein Rückzugsort für Insekten sein. Im Forschungsprojekt SLInBio betrachten wir deshalb die Insektenvielfalt in Frankfurt am Main und fragen, welche Auswirkungen städtische Lebensstile auf die Insektenvielfalt haben. Unser Ausgangspunkt ist: Das Wissen vieler Menschen über die Bedeutung der Insekten für die Artenvielfalt ist immer noch begrenzt. Zudem sind auch nicht alle gleichermaßen von Insekten fasziniert, vielmehr gibt es auch Ablehnung, vielleicht auch Ekel. Biodiversität wird also durchaus unterschiedlich bewertet. Wir wollen daher herausfinden, wie Wissenslücken und Ablehnung überwunden werden können, damit das gelingen kann, was wir als „Inwertsetzung" verstehen. Das heißt, dass die Wahrnehmung und das Wissen über die Schlüsselrolle von Insekten in der Stadtbevölkerung wächst und zu einem insektenfreundlichen Handeln im Alltag führt. Dabei geht es um „Behavior Change". Wir wissen: Mehr Vermittlung von Wissen alleine reicht für dauerhafte Verhaltensänderungen nicht aus. Wir untersuchen deshalb mit unseren Projektpartnern Aspekte von Motivation, Fähigkeit, und möglichen Gelegenheiten für einen gesellschaftlichen Wandel, der zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen kann.

Mit wem arbeiten Sie zusammen und wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?

Marion Mehring: Im Forschungsprojekt SLInBio ist es uns gelungen, alle relevanten Institutionen, die in Frankfurt am Main zu Biodiversität arbeiten und forschen, zusammenzubringen. Unsere Partner aus Praxis und Wissenschaft umfassen das ISOE – Institut für sozial­ökologische Forschung in der Projektleitung und die Goethe­Universität Frankfurt, das Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, den NABU Frankfurt am Main e.V., BioFrankfurt – Das Netzwerk für Biodiversität e.V., den Palmengarten, das Grünflächenamt und das Umweltamt der Stadt Frankfurt am Main sowie das MainÄppelHaus Lohrberg Streuobstzentrum e.V. Alle Projektpartner bringen ihre spezifische Expertise zur Insektenvielfalt in der Stadt mit und auch ihre möglichen Angebote für Bürgerinnen und Bürger, deren Teilhabe uns in dem Projekt besonders wichtig ist. Für die erfolgreiche Zusammenarbeit haben wir uns in einer Vorphase des Projekts bereits gezielt vernetzt.

Was ist das Neue an dem Projekt und wie wollen Sie vorgehen?

Marion Mehring: Neu ist, dass wir aufgrund unserer Forschungskonstellation und Forschungsfragen einen wichtigen Beitrag zu einem wirklichen transformativen Wandel leisten können, indem wir die Formen der Wahrnehmung und der Verhaltensänderungen untersuchen, die diesen Wandel verhindern oder begünstigen. Deshalb konzentrieren wir uns auf Fragen wie: Was motiviert Menschen dazu, Insekten zu schützen, welche Fähigkeit benötigen sie dafür? Wie lassen sich Gelegenheiten und neue Erfahrungsräume für konkrete Verhaltensveränderungen in der Stadt schaffen, die langfristig zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen können. Dafür arbeiten wir im Forschungsprojekt SLInBio in Frankfurt in einem großen Verbund, wie er bisher einzigartig sein dürfte. Dadurch bringen wir viele unterschiedliche Disziplinen aus Natur- und Sozialwissenschaften zusammen, die alle für sich entscheidende Zugänge zu Fragen der Biodiversität haben. Das ist ein bedeutender Mehrwert, denn eine einzelne Disziplin kommt bei der Suche nach Lösungen komplexer Probleme schnell an Grenzen. Wir gehen in SLInBio sogar noch einen Schritt weiter und forschen transdisziplinär, das heißt, wir arbeiten eng mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit Expertinnen und Experten aus der Praxis zusammen.

Was erhoffen Sie sich von dem Projekt?

Marion Mehring: Frankfurt am Main bietet als Großstadt mit vielen Parks, Grünanlagen und Gärten beste Voraussetzungen, um die Zusammenhänge zwischen urbanen Lebensstilen und der Insektenvielfalt genauer zu verstehen und einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Insekten zu leisten. Und die beteiligten Projektpartner bringen die Expertise und Möglichkeiten mit, ganz neue Erfahrungsräume für die Stadtbevölkerung zu eröffnen, um sich mit der Bedeutung von Artenvielfalt und ihres Verlustes auseinanderzusetzen. Gemeinsam erhoffen wir uns grundlegende Erkenntnisse über die Zusammenhänge, die zu nachhaltigen Verhaltensveränderungen führen. Für die Transformationsforschung ist das überaus relevant – nicht nur mit Blick auf den Erhalt der Artenvielfalt, sondern für alle Bereiche, in denen ein transformativer Wandel notwendig ist.

Was muss passieren, dass Sie am Ende sagen: „Dieses Projekt war erfolgreich"?

Marion Mehring: Ein Erfolg ist es für uns, wenn das Thema Insektenvielfalt und seine Bedeutung für die Biodiversität im Bewusstsein möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger angekommen ist. Dafür haben wir seit Projektstart bereits viele Angebote gemacht, bei denen gezielt die Neugier und das Interesse am Thema Insekten geweckt wird. Wir bieten Stadtspaziergänge, Kinoabende, Workshops, ScienceSlams, Kunst-Führungen und Informationsveranstaltungen an, die alle das Ziel haben, die eigenen Vorstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Insekten zu reflektieren und Wege aufzuzeigen, wie jeder die Insektenvielfalt in seiner Stadt fördern kann. Allein das ist schon ein Erfolg, wenn Menschen diese Angebote wahrnehmen, denn Studien zeigen, dass Menschen in der Stadt immer seltener die vorhandene vielfältige Insektenwelt tatsächlich „erleben". Aber dieses Erleben ist für einen nachhaltigen Insektenschutz zwingend notwendig. Erfolgreich war das Projekt für uns, wenn wir in der Stadt Frankfurt nachhaltig mehr Aufmerksamkeit für das Thema Insektenvielfalt erzeugen konnten und das vor allem auch bei bislang naturfernen Gruppen. Wenn diese Aufmerksamkeit messbar zu einer Steigerung der Insektenvielfalt beiträgt, wir eine Trendumkehr erkennen und sich die städtische Artenvielfalt sogar wieder erhöht, haben wir einen großen Erfolg zu verbuchen. Unsere im Projekt gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über diesen Prozess dürfen wir dann auch als Blaupause für andere Städte oder auch andere Kontexte verstehen, bei denen es darum geht, vom Wissen ins Handeln zu kommen.


zurück zur News Übersicht