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Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt

Von Workshops bis KI: Neue Erkenntnisse zur Bürgerbeteiligung für nachhaltige Mobilität

Die Nachwuchsgruppe CIMT der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat untersucht, wie Bürgerinnen und Bürger die lokale Mobilitätsplanung beeinflussen können. Mit Fallstudien aus Hamburg, KI-gestützten Analysetools und einer umfangreichen Datenbank von rund 350 Planungsverfahren zeigt die Forschung: Beteiligung kann nachhaltige Mobilität fördern, hängt aber stark von Gestaltung und Entscheidungsspielraum ab. Gleichzeitig liefert das Projekt praxisnahe Handlungsempfehlungen für Kommunen – von Workshops bis zu digitalen Konsultationen.

Die vom Bundesforschungsministerium geförderte sozial-ökologische Nachwuchsgruppe CIMT (Citizen Involvement in Mobility Transitions) hat untersucht, wie und unter welchen Bedingungen die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern einen Beitrag zu nachhaltigerer Mobilität vor Ort und zur Überwindung von Konflikten um die Verkehrswende leistet. Nun liegen spannende Ergebnisse vor: zum Beispiel KI-basierte Sprachmodelle zur automatisierten Auswertung von Beteiligungsbeiträgen, eine Fallstudiendatenbank mit rund 350 kommunalen Mobilitätsplanungsverfahren und ein Set an Handlungsempfehlungen für konsultative kommunale Beteiligungsverfahren.

Von 2019 bis 2024 leitete Jun.-Prof. Dr. Tobias Escher die Nachwuchsforschungsgruppe CIMT an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Im Zentrum standen drei Fragen:

  • Inwieweit verbessert sich durch eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürgern die Qualität der politischen Entscheidungen?
  • Unter welchen Bedingungen erhöht Bürgerbeteiligung die gesellschaftliche Akzeptanz der Maßnahmen zur Verkehrswende vor Ort?
  • Wie können die kommunalen Prozesse bei der Auswertung von Bürgerbeteiligung technisch unterstützt werden?
     

Zur Beantwortung dieser Fragen, arbeitete die Gruppe in einem Team von Forschenden aus der Soziologie, der Stadt- / Regionalplanung und der Informatik zusammen. Gemeinsam haben sie so die Rolle von Bürgerbeteiligung für eine nachhaltigere Mobilität untersucht. Der Fokus lag dabei auf Konsultationen, die von der lokalen Politik bei der Planung von Verkehrsmaßnahmen und Mobilitätskonzepten durchgeführt wurden. Dazu wurden insbesondere fünf Mobilitätsplanungsprozesse in Deutschland untersucht. Zusätzlich entwickelte und evaluierte die Nachwuchsgruppe KI-basierte Analyseverfahren zur Unterstützung der Auswertung von Beiträgen in Beteiligungsverfahren.

Die wichtigsten Forschungsergebnisse im Überblick

Bei der Mobilitätsplanung setzen Kommunen bislang noch nicht flächendeckend auf Konsultationen

Die Konsultation von Bürgerinnen und Bürgern wird bei der Mobilitätsplanung bislang noch nicht flächendeckend eingesetzt, sondern vor allem in partizipationsaffinen Kommunen und insbesondere in Mittel- und Großstädten. Dabei wird bislang vorrangig auf offene Formate wie Workshops oder Online-Plattformen gesetzt, ohne eine gezielte Auswahl der Teilnehmenden. Für die Analyse wurde eine Fallstudiendatenbank von rund 350 kommunalen Mobilitätsplanungsverfahren in Deutschland aufgebaut, die online verfügbar ist.

Die Bürgerbeteiligung kann unter günstigen Umständen zu nachhaltigerer Mobilität führen

Anhand von zwei Fallstudien in Hamburg (Autoarmes Quartier freiRaum Ottensen, Umbau Elbchaussee - Planabschnitt West) wurde unter anderem durch Stakeholder-Interviews und die Auswertung von Planungsunterlagen und Medienberichten der (begrenzte) Einfluss von Vorschlägen aus der Bevölkerung auf politische Entscheidungen belegt. Ob die Bürgerinnen und Bürger die Planung überhaupt inhaltlich verändern können, hängt unter anderem davon ab, ob Entscheidungsspielraum besteht und ob die Beteiligungsformate als repräsentativ wahrgenommen werden. Wichtig: Inhaltliche Wirkung der Beteiligung geht nicht immer mit einer Veränderung der Planungen einher. Schließlich können Bürgerinnen und Bürger auch Einfluss auf die Politik ausüben, indem sie die vorgeschlagenen Planungsentwürfe während der Beteiligung (auch gegen Widerstände) unterstützen und deren Beschluss damit erst ermöglichen. In den beiden intensiv untersuchten Fallstudien in Hamburg hat die Beteiligung insgesamt so zu mehr Nachhaltigkeit geführt. Das ist aber keineswegs bei jedem Beteiligungsprozess zu erwarten.

Durch die Forschung offenbaren sich nämlich auch die Grenzen konsultativer Formate zur Förderung nachhaltiger Mobilität. Es zeigt sich: Damit Beteiligung trotz dem in Verwaltung und Planung dominierenden „Regime der Automobilität“ zu Entscheidungen im Sinne der Verkehrswende führen kann, braucht es Druck aus der Öffentlichkeit, der aber durch klassische Konsultationsformate nur schwer erzeugt werden kann.

Ausführlich werden diese Aspekte in der Dissertation "Verkehrswende durch Öffentlichkeitsbeteiligung? Policy-Wirkung von konsultativen Invited Spaces am Beispiel zweier Verkehrsplanungsprojekte in Hamburg" von Laura Mark beleuchtet.

Ein guter Beteiligungsprozess führt zu mehr Zufriedenheit – wesentlicher sind jedoch die Beteiligungsergebnisse

Anhand von bevölkerungsrepräsentativen Befragungen zu vier Planungsverfahren

  • Hamburg: Autoarmes Quartier freiRaum Ottensen
  • Hamburg: Umbau Elbchaussee - Planabschnitt West
  • Marburg: Mobilitätskonzept MoVe 35
  • Offenburg: Masterplan Verkehr OG 2035
     

konnte gezeigt werden, dass sich die Beteiligungsverfahren auf die Einstellung der Bevölkerung vor Ort auswirken – sogar dann, wenn diese den Prozess nur beobachten und sich selbst gar nicht aktiv beteiligen. Die Wirkungen sind jedoch nicht immer positiv. Im Gegenteil: Die Teilnehmenden sind tendenziell unzufriedener, da viele erst durch diese Unzufriedenheit zur Teilnahme motiviert werden. Deutlich wird, dass eine positivere Einschätzung der Politik vor Ort vor allem davon abhängt, inwieweit man selber mit der Planungsentscheidung zufrieden ist, und weniger von der Ausgestaltung des Prozesses. Doch gerade auch bei denjenigen, die ihre Interessen nicht (vollständig) durchsetzen können sorgt ein als transparent und nachvollziehbar wahrgenommener Beteiligungsprozess für höhere Zufriedenheit mit der lokalen Politik und Verwaltung. Insgesamt können Konsultationen dadurch unter bestimmten Umständen durchaus zu höherer Akzeptanz der Maßnahmen und stärkerer Zufriedenheit mit der lokalen Politik beitragen. Eine Auflösung der gesellschaftlichen Konflikte um die Verkehrswende oder eine Förderung der Demokratiezufriedenheit darf man von den vorranging eingesetzten offenen Formaten ohne gezielte Teilnehmenden-Auswahl jedoch nicht erwarten.

Ausführliche Ergebnisse finden sich in der Dissertation "Inklusive Demokratie, Nachhaltige Demokratie?" von Katharina Holec. Darüber hinaus sind die Daten aus den Befragungen für Sekundäranalysen verfügbar.

Empfehlungen zum Einsatz von Konsultationen bei lokaler Verkehrsplanung

Konsultative Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern hat zurecht einen festen Platz in der (Verkehrs-)planung, aber die Befunde der Forschungsgruppe sprechen dafür, realistischere Erwartungen an diese Formate zu formulieren. Zusammen mit Praktikerinnen und Praktikern aus der kommunalen Verwaltung hat die Nachwuchsgruppe CIMT empirisch fundierte Handlungsempfehlungen dazu entwickelt, wie konsultative Bürgerbeteiligung die kommunale Verkehrswende unterstützen kann. Diese richten sich insbesondere an Beteiligungsbeauftragte sowie Planerinnen und Planer, aber auch an die lokale Politik.

Künstliche Intelligenz zur Auswertung von Beiträgen der Bürgerinnen und Bürger

Die intensiven Diskussionen mit Praktikerinnen und Praktikern der Verkehrsplanung sowie der Bürgerbeteiligung haben gezeigt, dass die sorgfältige und transparente, aber auch zügige Auswertung von Beteiligungsbeiträgen eine Herausforderung darstellt. Im Projekt wurden KI-basierte Verfahren entwickelt, die die Verwaltung bei einzelnen Auswertungsschritten unterstützen können. Beispiele sind:  Beiträge nach Verkehrsmitteln klassifizieren, Argumente im Diskurs identifizieren oder Ortsnennungen erkennen. Die KI-Modelle sind öffentlich und können mit Hilfe des CIMT-Dashboards unter https://software.cimt-hhu.de/ auch selbst ausprobiert werden.

Ausführlich werden die Ansätze in der Dissertation  "Unterstützung des manuellen Evaluierungsprozesses von Bürger*innenbeiträgen durch Natural Language Processing" von Julia Romberg dargestellt und diskutiert.

Wie geht es weiter?

Studierende setzen sich mit den sozialen und ökologischen Aspekten von Mobilität auseinander

Die sozialen Aspekte von Mobilität und die Herausforderungen der Transformation zu nachhaltiger Mobilität sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Lehre am Institut für Sozialwissenschaften – in Seminaren und studentischen Forschungsarbeiten, nicht zuletzt auf Basis der im Projekt gesammelten Daten.

Und...

Tobias Escher ist seit August 2025 Professor am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und beschäftigt sich in Forschung und Lehre weiter mit den Themen Partizipation und nachhaltige Mobilität. Darüber hinaus werden fortlaufend weitere Ergebnisse aus der Forschung der Nachwuchsgruppe publiziert und im Rahmen verschiedener Formate in die kommunale Praxis getragen.

Pressemitteilung


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